Was ist organische Architektur? 

Organische Architektur ist eine vielgestaltige Architekturströmung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an verschiedenen Orten gleichzeitig entstanden ist. Pioniere wie Frank Lloyd Wright, Antoni Gaudí oder Rudolf Steiner orientierten sich, jeder auf seine Weise, an Gesetzmäßigkeiten der lebendigen Natur. Es ging ihnen dabei nicht um die Nachahmung von Formen der Natur, sondern vielmehr um die Suche nach einer Gestaltung, die dem Menschen als lebendiges, sich entwickelndes Wesen gerecht werden kann.

Der organischen Architektur liegt die Überzeugung zugrunde, dass Bauwerke nicht nur Ausdruck von Gesellschaft und Kultur sind, sondern sie auch umgekehrt Einfluß nehmen auf äußeres und inneres Leben des Menschen. Dabei wird der Menschen sowohl als körperliches als auch psychisches und geistiges Wesen verstanden, das auf jeder dieser Ebenen mit seiner Umgebung in Beziehung steht.

In einer Zeit, in der das Baugeschehen stark durch wirtschaftliche Faktoren, technische Innovationen und bürokratische Restriktionen beherrscht wird, strebt die organische Architektur eine integrale Arbeitsweise an, die auch Erlebniswerte, kulturelle Inhalte und Spiritualität umfaßt.

Frank Lloyd Wright (1869–1959) entwickelt die organische Architektur in mehrere Richtungen weiter. Er schloß in den Begriff des Organischen die Beziehung von Gebäude und Landschaft, die Verbindung von Innen- und Außenraum, den Zusammenhang zwischen den Teilen eines Gebäudes und dem Ganzen und einen naturgemäßen Umgang mit Baumaterialien ein.
Antoni Gaudí (1852–1926) bedient sich als erster einer plastischen Formensprache, um die Baumassen wie lebendig erscheinen zu lassen. Die in der Konstruktion wirkenden Kräfte bilden dabei einen wichtigen Ausgangspunkt seiner spezifischen Formfindung. Am Ende seines Lebens entwickelt er in der Sagrada Familia eine der Natur entlehnte Geometrie der doppelt gekrümmten Fläche.
Rudolf Steiner (1861–1925) führt das Prinzip der “Metamorphose” in die Architektur ein. Hierdurch werden Entwicklungsprozesse, welche Natur, Kultur und menschliches Leben charakterisieren, durch künstlerische Gestaltung erlebbar gemacht. Durch das Sich- Einlassen auf diese Formen kann ein Bewußtsein von Zusammenhängen entstehen und bewegliches, lebendiges Denken entwickelt werden.
Louis Sullivan (1856–1924) führt als einer der ersten den Begriff der “organischen Architektur” ein. Sein der Natur abgelauschtes Kredo “form follows function” machte er zum Ausgangspunkt seiner Architektur. Dabei erweckt er seine überwiegend geometrischen Baumassen durch eine besonders reiche und bewegte Ornamentik zum Leben.
Die Transformation der Moderne

Am Ende der zwanziger Jahre scheint die organische Architektur sich nicht weiter zu entwickeln. Wichtige Pioniere wie Sullivan, Steiner und Gaudí versterben und in Europa sorgen wirtschaftliche Rezession und zweiter Weltkrieg für einen allgemeinen Rückgang im Bauwesen. In den fünfziger und sechziger Jahren erlebt die organische Architektur jedoch eine überraschende Wiedergeburt. Auffallend dabei ist, dass vor allem Vertreter des Funktionalismus diesen Durchbruch bewirken. Sie transformieren die anfangs streng geometrische Formensprache der Moderne in eine expressivere, organischere Richtung. In einigen Fällen, wie bei Le Corbusier, ist das eine überraschende Wendung, bei anderen, wie Alvar Aalto und Hans Scharoun, ein eher allmählicher Übergang.

Organische Architektur weltweit

In den achtziger und neunziger Jahren findet ein kraftvoller Aufschwung im organischen Bauen statt. Eine neue Generation von Architekten knüpft wieder bei Arbeiten von Pionieren wie Wright und Steiner an, verbindet diese Ansatzpunkte aber mit lokalen Bautraditionen, neuen Techniken und eigenen kreativen Impulsen. Auf diesem Weg ist in den letzten Jahrzehnten weltweit eine große Vielfalt an Ausdrucksformen entstanden.

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